Crystal Meth: Rausch der Mütter

  • Hilfe bei Sucht

Immer mehr Frauen, darunter viele mit Kindern, nehmen die Droge. Ein Besuch in der Diakonie Reha-Klinik Haidehof Gohrisch.

Junge Frauen einer Therapiegruppe in der evangelischen Fachklinik Haidehof in Gohrisch sitzen am Tisch.
© Anieke Becker

Junge Frauen einer Therapiegruppe in der evangelischen Fachklinik Haidehof in Gohrisch.

Gesprächsrunde in einem kleinen Ort in der sächsischen Schweiz. Acht Frauen sitzen im Stuhlkreis. Sie sprechen von ihren Kindern­ – dass sie hauptsächlich wegen ihnen hier sind. Als sie auf Droge waren, waren die Kinder noch egal. „Es ist einfach alles leichter. Ich konnte alles vergessen“, erzählt Nina*.

Die 29-Jährige ist Patientin in der Diakonie Reha Klinik Haidehof Gohrisch. Sie ist sehr dünn, ihre Haare glänzen kupferrot. „Ich hatte mehr Energie, aber umso länger ich die Droge nahm, desto mehr Kraft hat sie mir aus den Knochen gesogen. Auch die gute Stimmung ist am Ende weg. Das will ich nicht mehr, auch wegen meiner Kinder.“ Ihre drei Mädchen sind acht, fünf und elf Jahre alt. Die anderen Patientinnen nicken. Sechs der acht Frauen haben auch Kinder. Und sie sind alle aus demselben Grund hier: Weg von der Droge Crystal Meth.

Hoher Anteil Frauen

Crystal Meth kommt über die Tschechische Grenze nach Deutschland – immer häufiger. Denn in den letzten Jahren ist der Konsum der Droge laut der Deutschen Suchhilfestatistik für Sachsen dramatisch angestiegen: Während 2010 nur 10 Prozent der Klienten Crystal nahmen, war es 2013 schon knapp jeder vierte in der Suchthilfe. Crystal ist die zweithäufigste Droge nach Alkohol.

Und sie hat eine neue Zielgruppe: junge Frauen wie Nina und ihre Gruppe. 35 Prozent der Crystal-Meth-Abhängigen in den sächsischen Kliniken sind weiblich – ein extrem hoher Anteil im Vergleich zu anderen Suchterkrankungen. Klinikleiterin Doktor Claudia Werthmann versucht Erklärungsansätze zu finden: „Unter der Droge sind die Konsumentinnen durchsetzungsfähiger und können, anders als beim Alkohol, den Alltag weiterhin bewältigen, aber alles läuft mechanisch ab. Was verloren geht, ist die Emotionalität, auch gegenüber den eigenen Kindern. Außerdem haben die Frauen kein Hungergefühl und können schnell Gewicht verlieren.“

Besonders ist, dass viele Crystal-Meth Konsumentinnen Mütter sind. Der Altersdurchschnitt von Crystal-Konsumenten liegt bei 26 Jahren. Ein Alter, indem die Wahrscheinlichkeit schwanger zu sein oder bereits Kinder zu haben sehr hoch ist. Und – die Droge fördert das Sexualverhalten. Bei 441 Crystal-Klienten der Suchtberatungsstellen in Sachsen leben insgesamt 600 Kinder unter 18 Jahren im Haushalt.

Respekt vor Entlassung

Das Klinikkonzept sieht Therapiegruppen von acht Patienten vor. Seit vier Jahren gibt es eine eigene Gruppe für Crystal-Meth abhängige Frauen. Im Durchschnitt sind die Frauen ein halbes Jahr hier. Bevor sie aufgenommen werden, muss ihr Körper schon entgiftet sein. Während der Therapie verbringt die Gruppe den kompletten Tag zusammen: Sieben Uhr wecken, dann Therapie, Fernsehen gibt es zweimal in der Woche. Auch gekocht wird gemeinsam. Ab 22:30 ist Nachtruhe. Die Regeln des Hauses sind streng. Es gibt festgelegte Raucherzeiten und Kontaktsperre zu anderen Gruppen.

Rebecca*, mit 19 die jüngste in der Gruppe, hilft das: „Ja klar, die Einrichtung ist schon streng. Aber dadurch konzentriere ich mich nur auf mich. Ich habe damals dauer-konsumiert und habe nun die Chance, vieles zu verarbeiten. Jetzt habe ich kaum noch Verlangen nach der Droge.“ Die junge Frau wird morgen entlassen. Rebecca hat alle Phasen der Therapie mitgemacht: Die vierwöchige Eingewöhnungsphase, acht Wochen Arbeitsphase und eine zwölfwöchige Außenorientierungsphase, wo es um eine berufliche Neuorientierung geht.

„Ich habe schon Respekt vor der Entlassung. Aber ich werde mir Hilfe von Außen holen. Ich will meinen Realschulabschluss nachholen und eine Ausbildung zur Fachkraft für Bürokommunikation machen.“ Ihre Angst vor einem Rückfall ist statistisch gesehen berechtigt: Etwa ein drittel der Klienten benötigen eine zweite Therapie. Aber den ersten Schritt hat sie schon geschafft: Sie ist eine der 60 Prozent, die die Therapie bei Dr. Werthmann bis zum Schluss durchgehalten haben.

Die Abbrecherquote von 40 Prozent sei hoch, aber das liege auch an den Vorbelastungen in den Familien: „Unsere Frauen kommen aus zum Teil sehr schwierigen Verhältnissen. Das sind die typischen Patchworkfamilien mit vielen Kindern. Auch Vernachlässigung ist ein Thema“, so Werthmann.

Die meisten Crystal Abhängigen kommen über das Feiern an die Droge: „Ich habe Crystal genommen, damit ich zwei Tage durchfeiern kann. Und dann hat es sich in die Woche geschlichen“, sagt Kim*, die einen achtjährigen Sohn hat. Kim erzählt, dass die Finanzierung des Drogenkonsums kein Problem war: Crystal ist extrem günstig.

In Tschechien kostet ein Gramm um die zehn, nach Grenzüberschreitung 20 Euro. „Irgendwann hab ich auch selbst gedealt.“ Am Ende des Monats hatte Kim regelmäßig Handys und andere Elektrogeräte. Pfand für die Drogen, die die Konsumenten nie wieder abholten. Ob ihr Sohn das Dealen nie mitbekommen hätte, fragt Werthmann. „Nein, der hat sich über den neuen Fernseher gefreut.“
Meisten planen Neuanfang

Die Patientinnen dürfen ihre Kinder nicht in die Klinik mitbringen. „Die Mütter sollen sich komplett auf sich konzentrieren“, so Werthmann. „Außerdem entdecken die meisten die Bedürfnisse ihrer Kinder erst dann wieder, wenn sie hier in Therapie sind.“

Jetzt ist das anders. Die Frauen sehnen sich nach ihren Kindern und nach einem normalen Leben. Kim erzählt, dass sie nach Therapieende bei ihrer Mutter stundenweise im Friseurladen anfangen möchte. Nina möchte mit ihrer Familie wegziehen – weg von der Droge und den alten Bekannten. Doktor Werthmann hofft das Beste für ihre Patientinnen.

*Namen von der Redaktion geändert

Text: Anieke Becker/ diakonie.de

Weitere Informationen:

Crystal bzw. Methamphetamin ist ein starkes Psychostimulans auf Amphetamin-Basis. In kristalliner Form erinnert die Substanz an Eiskristalle  – deswegen die Bezeichnung „Crystal“.  Crystal kann gesnieft, geraucht, gespritzt und geschluckt werden. Die Wirkung hält zwischen sechs und 48 Stunden an. Die Droge bewirkt eine erhöhte Ausschüttung der Botenstoffe Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin im Gehirn. Sie gibt den Konsumenten das Gefühl von Euphorie und steigert die körperliche Leistungsfähigkeit. Konsumenten sind kommunikativer und der Sexualtrieb steigt. Die Droge unterdrückt Hunger, Durst, Schlafbedürfnisse und Schmerzempfinden. Unangenehme Gefühlszustände können besser ausgehalten werden. Der Körper gewöhnt sich sehr schnell an Crystal. Die Dosis muss dann erhöht werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Crystal Meth Langzeitwirkungen können sein: Psychosen aufgrund von Überdosierung, Hautveränderungen und –entzündungen, erhebliche Schädigung der Zähne, Depressionen, Panikattacken, Angstzustände und Hirnschädigungen.